DURCH DEN WALD – 150 JAHRE MAX REGER & DER KLIMAWANDEL

„Wir Menschen verursachen zu einem großen Teil den Klimawandel durch den Ausstoß von Treibhausgasen. […] Seit der Industrialisierung – BESONDERS IN DEN VERGANGENEN 150 JAHREN – ist die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre deutlich gestiegen: UM GUT 44 PROZENT.(„Die Reportage“ – NDR)

150 Jahre, in welchen sich unsere Umwelt enorm verändert hat. Diese Veränderungen sind nicht immer deutlich sichtbar, deshalb ist es umso wichtiger gerade die unauffälligeren und stillen Veränderungen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.

Mit den Worten „Durch den Wald“ beginnt das sechsstimmige A-cappella-Werk „Frühlingsblick“ von Max Reger (Nr. 3 aus op. 39 „Drei sechsstimmige Chöre“) dessen 150-jähriges Jubiläum wir im März 2023 begehen. Er leistete neben zahlreichen Kompositionen für Orgel auch bei Lied- und Chorkomposition Bedeutendes. Betrachtet man das anfangs stehende Zitat wird allerdings deutlich, dass jener frühlingshafte Blick durch den Wald, den Reger mit seinen ihm eigenen kompositorischen Mitteln im romantischen Stil vertonte, ein deutlich anderer gewesen sein muss, als wir ihn heute erleben.

Das Regensburger Vokalensemble StimmGold bringt mit seinem Projekt konkrete Folgen des menschenverursachten Klimawandels in der Region Oberpfalz/Bayern mit Hilfe von 15 Auftragskompositionen mit Vokalwerken des oberpfälzischen Komponisten Max Reger in Verbindung. Als Kompositionsgrundlage dienten den KomponistInnen Textfragmente und Kompositionen zu Natur und Lebensraum von Max Reger (in Kooperation mit dem Max-Reger-Institut Karlsruhe) sowie Bilder und Beschreibungen einzelner Pflanzen, Tiere oder ganzer Landschaftszüge aus der Oberpfalz, die im Laufe der letzten 150 Jahre dem Klimawandel zum Opfer gefallen sind. Grundlage hierfür waren die Roten Listen des Bayerischen Landesamts für Umwelt, die den Rückgang von Arten (Pflanzen & Tiere) konkret aufzeigen und somit die Gefährdung der biologischen Vielfalt Bayerns in den letzten 150 Jahren dokumentierten.

Die Kompositionen wurden entweder für sechsstimmiges Ensemble a cappella verfasst oder in einer Erweiterung mit technischer Musik durch das Fallwander Duo. Die Synthesizer-Klänge des Duos sollen als zeitgemäße Fortschreitung der berühmten Orgelmusik von Max Reger dienen und bringen somit einen weiteren wichtigen Aspekt in das Projekt.

Die neuen Werke wurden in Form einer CD (Spektral Records) sowie zusätzlicher Videoaufnahmen (Ideal Entertainment) dokumentiert und der Öffentlichkeit zugängig gemacht.

Durch das Projekt wird zum einen das Bewusstsein der Menschen für die Bereiche Klimawandel und klassische Vokalmusik gefördert und gestärkt, zum anderen wird durch die Einbindung neuer technischer Mittel wie Synthesizer und elektronische Musik eine Brücke von klassischer Vokalmusik zu technischem Fortschritt und heutigen Hörgewohnheiten gebaut.

DAS SYNTHESIZER-DUO

In dem Duoprojekt Fallwander schaffen sich Komponistin Theresa Zaremba und Geigerin Teresa Allgaier künstlerischen Freiraum. Sie entwickeln abstrakte Kontexte und Songformen in Wechselwirkung mit ihrem Instrumentarium, bleiben dabei immer kammermusikalisch gesinnt. Es entsteht eine Ästhetik am Rande des Pop, die sich in akustischen und elektronischen Klangwelten bewegt. Gleichzeitig subtil und schroff, unnahbar und emotional. Ihr erstes Programm dokumentiert die Entwicklung des Duos im Streben nach Authentizität in Person und Musik.

„Ihre Introvertiertheit wirkt roh,
die intimen Facetten abgründig.
Auf der Suche nach Authentizität steht sie da. Warme Klänge erlösen sie von der Kargheit des Nordens und geben ihr eine Stimme.“
(Fallwander poem)

Theresa Zaremba (Synthesizer, Electronics)
Teresa Allgaier (Geige, Piano, Synthesizer, Electronics)

Bildquelle: Marie Gryczka, 2021

TRACKLIST

Theresa Zaremba (*1991)

Das Rework I verarbeitet zwei Phrasen aus dem originalem Chorwerk Regers. Die Gesangstimmen werden hierbei von zwei stoisch wandernden Synthesizern durch das Rework getragen und somit ihrem altbekannten Kontext enthoben. In Verbindung kreieren die beiden Klanggruppen eine stimmungsvolle Soundtrackartige Welt.

Bildquelle: Josef Dreisörner

Ludwig Böhme (*1979)

Das Wald Fragment verbindet einige wenig kompatible Angelegenheiten: zum einen wird die Musik von Regers überdimensionalem Requiem (das so opulent geplant war, dass es schließlich unvollendet blieb) in die kleinstmögliche Besetzung eines Vokalsextetts übertragen. Weiterhin werden die sinfonischen Requiem-Klänge Regers als Basis für eine Surround-Wald-Klangszene genutzt, die auch den Aufführungs- oder Aufnahmeraum mit einbezieht. Schließlich habe ich Zitate und Textpassagen aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Themenfeldern miteinander verknüpft: ein Auszug aus dem Bundesnaturschutzgesetz bildet (fast unhörbar) das Fundament (besser: den Orgelpunkt) des Anfangsteiles, apokalyptisches Dies-Irae-Gemurmel brodelt im Hintergrund, verschiedene Zitate und Weisheiten wenden sich im dramatischen Mittelteil direkt an uns alle, und Goethe erhält das (geflüsterte) Schlusswort.

Bildquelle: Anne Hornemann

Philipp Claßen (*1997)

Beim Schreiben von „Frühlings Tod.“ beschäftigten mich vor allem drei Dinge. Zunächst
bedeutet dieses Stück für mich eine persönliche Auseinandersetzung mit dem späten
Vokalstil Max Regers – gewissermaßen ein Blick zurück mit der Brille unserer heutigen Zeit.
Die Metapher des lächelnd dahinsterbenden Lenzes zeichnet ein düsteres, aber auch
melancholisches Bild der menschlichen Ohnmacht gegenüber den überwältigenden Kräften
der Natur im Angesicht des von uns verursachten Klimawandels.
Zuletzt wollte ich ein Stück schreiben, das es den Hörenden erlaubt, für einen kurzen
Augenblick in eine andere Welt einzutauchen: In die Welt des Vergangenen und
Vergehenden – all der gewichtigen Thematik zum Trotz.

Bildquelle: Christoph Claßen

Eva Kuhn (*1994)

Eine fast vergessene, nur noch selten zu findende Pflanze wird musikalisch zum Leben erweckt: Die Zwergbirke (Betula nana). Ein vom Aussterben bedrohtes Relikt der Eiszeit. Kurze Einwürfe von Silben und Konsonanten und süffige Glissandi verklanglichen die Lebendigkeit ihres bevorzugten Lebensraumes – das Moor – und bilden einen Rahmen für die Beschreibung der Pflanze und ihrer Verdrängung. Mit einem Zitat aus Regers op. 76, Nr. 20 kommt das Stück zum Ende.

Bildquelle: Martin Axtner

Max Reger (1873-1916)

Sehr schwer sind die Chöre, allein ich denke, daß der musikalische Inhalt ein derartiger ist, daß es sich für unsere deutschen Chorvereine wohl lohnt, diese Chöre zu singen.
(…)
Ich versichere Sie aber, daß in op. 39 nicht Liebe zur Arbeit mich leitete, sondern Liebe zum Text und die Pflicht, diesen schönen Texten ein schönes musikalisches Gewand zu verleihen! Glauben Sie mir, ein Einfall ist mir lieber als 100000 Tonnen musikalische Arbeit! Außerdem fällt mir alle Polyphonie so leicht, daß ich da nicht zu arbeiten brauche!
(aus dem Schriftverkehr mit Emil Krause)

Bildquelle: Max-Reger-Institut

Teresa Allgaier (*1991)

Auseinanderklaffende Synthklänge stellen die Vokalpassagen über das ganze Stück hinweg in den Kontext eines unterschwelligen Unbehagens, während Zitate aus Max Regers „Nachtlied“ immer wieder ein ungebrochenes Gottvertrauen entgegensetzen. Aus der Sehnsucht nach Ruhe spricht gleichzeitig auch die Angst vor der Nacht als eine dunkle Welt böser Geister. Im fragmenthaften Wechsel von Zitat und Verfremdung steigern sich diese parallelen Zustände durch wabernde Klangwände hindurch zu einem befreienden Moment der Klarheit und Stille, ehe das Stück mit der Anfangsphrase endet: „Die Nacht ist kommen, drin wir ruhen sollen.“

Bildquelle: Julian Ebentheur

Owain Park (*1993)

When choosing which of the many wonderful settings of Reger to respond to, I was struck by the haziness of the piano writing in Sommernacht; the way the voice drifts in and out of focus. Gertrud Triepel’s evocative poem paints a delicate picture of a summer’s evening, likening the tugging of a breeze to the pulling of homesick heartstrings. I wondered whether I could channel the languid nature of Reger’s setting into my reworking of his composition for voices. I was guided by the original harmonic patterns, using chromatic twists and turns to transfigure chords between vocal lines. There is no lead singer: each voice has a turn, conversing with each other as if sharing stories around the fire. As music drifts off into the distance, the voices begin to murmur, lulling themselves to sleep.

Bildquelle: Patrick Allen

Philippe Kocher (*1973)

Max Regers Blick auf die Natur vor 150 Jahren war ein anderer, als wir ihn heute haben. Einerseits hat sich in der Zwischenzeit die Natur verändert, insbesondere durch den Klimawandel. Andererseits hat sich auch die Gesellschaft verändert: Im 19. Jahrhundert ging man anders mit der Natur um, maß ihr andere Bedeutungen zu, verknüpfte sie mit anderen Bildern, Assoziationen und Gefühlen.
Reger hinterließ uns seinen Blick auf die Natur in vielen Kompositionen, bei denen der Titel oder der Liedtext in irgendeiner Weise auf die Natur verweist. Manchmal ist die Naturschilderung die Hauptsache einer Komposition, manchmal dient sie nur dazu, die eigentliche Handlung in einer bestimmten Szenerie stattfinden zu lassen und eine emotionale Stimmung vorzugeben.
In meinem Stück „Der Wald beginnt zu rauschen“, versuche ich, Regers Blick auf die Natur zu thematisieren, indem ich kurze Zitate aus seiner Musik verwende. Es handelt sich um lauter Stellen, bei denen der Liedtext eine Natursituation schildert. Diese Zitate harmonisiere ich neu oder setze sie willkürlich neu zusammen. Es handelt sich also um eine Art Sampling, bei dem Melodiefragmente aus Regers Musik in einen neuen Kontext versetzt werden.

Bildquelle: Katinka Kocher

Max Reger (1873-1916)

Sehr schwer sind die Chöre, allein ich denke, daß der musikalische Inhalt ein derartiger ist, daß es sich für unsere deutschen Chorvereine wohl lohnt, diese Chöre zu singen.
(…)
Ich versichere Sie aber, daß in op. 39 nicht Liebe zur Arbeit mich leitete, sondern Liebe zum Text und die Pflicht, diesen schönen Texten ein schönes musikalisches Gewand zu verleihen! Glauben Sie mir, ein Einfall ist mir lieber als 100000 Tonnen musikalische Arbeit! Außerdem fällt mir alle Polyphonie so leicht, daß ich da nicht zu arbeiten brauche!
(aus dem Schriftverkehr mit Emil Krause)

Bildquelle: Max-Reger-Institut

Mathias Rehfeldt (*1986)

Das Stück steht als introvertiertes Echo Regers Waldeinsamkeit da. Die eingewobenen Zitate werden als ferne Erinnerung nur noch nebulös wahrgenommen. Nachklingend, atmosphärisch und melancholisch sinniert es über eine lang vergangene Liebelei.

Bildquelle: Emanuel A. Klempa

Timothy C. Takach (*1978)

For “Ein Abgang von Fledermäusen” or “A Departure of Bats”, I focused on the decline in the bat population in Bavaria, which is due to agricultural insecticides, the refurbishment of old buildings, and windmills. They are losing about a quarter of a million bats each year. In 1911 Max Reger set Hebbel’s poem “Die Weihe der Nacht” for alto solo, TB choir and orchestra, and I chose to use a portion of this text for my piece. The 6 voices are split into two choirs, and depict the beauty of the night, honoring the silence. The piece is roughly divided into thirds with somewhat strophic repetition, and on each repeat we hear fewer voices, suggesting the loss of these nocturnal creatures from Bavaria.

Bildquelle: Soona.

Max Reger (1873-1916)

Sehr schwer sind die Chöre, allein ich denke, daß der musikalische Inhalt ein derartiger ist, daß es sich für unsere deutschen Chorvereine wohl lohnt, diese Chöre zu singen.
(…)
Ich versichere Sie aber, daß in op. 39 nicht Liebe zur Arbeit mich leitete, sondern Liebe zum Text und die Pflicht, diesen schönen Texten ein schönes musikalisches Gewand zu verleihen! Glauben Sie mir, ein Einfall ist mir lieber als 100000 Tonnen musikalische Arbeit! Außerdem fällt mir alle Polyphonie so leicht, daß ich da nicht zu arbeiten brauche!
(aus dem Schriftverkehr mit Emil Krause)

Bildquelle: Max-Reger-Institut

Lukas Mario Maier (*1991)

„Still, still, es ist nur ein Traum, es geht alles vorbei, was es auch sei.“ Unsere Zukunft verlangt mutige Veränderungen, denn der Planet braucht nicht uns zum Überleben, sondern wir brauchen den Planeten.
„Spürest es kaum, es ist nur ein Hauch, wie du auch.“ Meine Komposition, inspiriert von Max Reger op. 15, Nr. 10 und Gustav Falke, spielt mit einem radikalen Perspektivwechsel, mit Selbstbesinnung und Trost im Angesicht von Trostlosigkeit.

Bildquelle: Joel Heyd

Enjott Schneider (*1950)

TWILIGHT PEACE nimmt Bezug auf Regers „Abendlied“ op. 6, Nr. 3. Diesem liegt ein atmosphärisches Gedicht „Friedlicher Abend“ zugrunde, in dem Nikolaus Lenau (1802-1850) eine Abendstimmung mit fast sakraler Natursicht beschreibt. Im Unterschied zu Max Regers Opulenz ist hier Reduktion, klangliche Sparsamkeit und Minimalisierung angesagt. Der scheinbare „Friede“ wird dadurch brüchiger und rückt mit der kindlich-naiven Sprachwelt des Nikolaus Lenau in eine fast utopische – Ferne.

Bildquelle: Manfred Schneider

Oliver Gies (*1973)

Regers Liederzyklus, dem das Original von „Die Bienen“ entstammt, ist mit „Schlichte Weisen“ überschrieben. Ein passender Titel, beinhalten doch viele der vertonten Texte verträumte Naturbeobachtungen mit fast kindlich anmutender Unbefangenheit. Die Selbstverständlichkeit, mit der der Frühling seinerzeit vom emsigen Summen begleitet wurde, weicht heute der Verunsicherung: Wie wird die Klimakatastrophe das Antlitz unserer Erde verändern? Werden auch nachfolgende Generationen den Frühling mit der Bienen „Summ, summ, summ” verbinden? Noch können wir Menschen vieles zum Guten wenden, wenn wir nur umdenken, uns zurücknehmen und entschlossen handeln. Möge dieses Album-Projekt seinen Teil zu der Erkenntnis beitragen, dass wir nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen sind.

Bildquelle: Sven Sindt

Michael Ostrzyga (*1975)

„Allein“ basiert frei auf Max Regers gleichnamiges Lied, das dieser an den Anfang seines Zyklus‘ „Sechs Gedichte von Anna Ritter“ gestellt hat. Zusätzliche Textfragmente wurden aus einem anderen Lied Regers entnommen, nämlich „Der Schelm“ aus op. 15; in der Druckausgabe dieser Sammlung wird der Textautor als ein gewisser „R….“ angegeben. Eine Zeit lang hatte ich erwogen, dem kurzen Stück, das wie eine flüchtige Erinnerung an Momente der besonderen Verbundenheit mit der Natur anmutet, den Untertitel „An die Erde“ hinzuzufügen.

Bildquelle: Christian Palm

Theresa Zaremba (*1991)

Im Rework 2 trifft Regers Schlusschoral mit der zweiten Strophe „O Tod, wie wohl tust du“ in seiner puren Form auf Antwort. In einem Doppelchor treten sich hier Vokalsextett und Synthesizer gegenüber und gehen in Konversation.

Bildquelle: Josef Dreisörner

CD BESTELLEN

„Die vorliegende CD (…) ist das beste, weil hintersinnigste und originellste diskographische Geschenk, das dem Jubilar zu seinem 150. Geburtstag präsentiert worden ist.“

Burkhard Schäfer in der Chorzeit JUL/AUG 2023

VIDEOS

Das Gesamtprojekt
Durch den Wald – 150 Jahre Max Reger & der Klimawandel
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